• ©DannyOtto

Das Spielzeit-Interview 2022/2023

GMD Florian Merz im Gespräch

Sehr geehrter Herr GMD Merz, die neue Spielzeit beginnt inmitten einer Zeitenwende in fast allen Bereichen. Welche Risiken sehen Sie, speziell für die heimatliche Region der Chursachsen im Herzen Europas?

Bereits vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg gab es gerade auch in unserem ländlichen Raum signifikante Veränderungen, die zusammen mit diesen zusätzlichen Herausforderungen offensichtlich zu einer echten Zeitenwende führen. Dieser müssen wir uns alle stellen! Die Risiken sind enorm, gerade für Deutschland: Bezüglich der Sicherheitsfragen sind wir von den USA abhängig, bzgl. unseres Wirtschaftsmotors und unseren gewachsenen Selbstverständlichkeiten – inkl. Freizeitverhalten – von russischen Rohstoffen. Noch sind unsere Probleme relativ harmlos und überschaubar, jedoch können diese leicht zu einer umfassenden Rezession eskalieren – Ende offen. Wir müssen rechtzeitig alles tun, um das höchste Gut, Frieden im Verbund mit Freiheit, zu bewahren!

  • Der Intendant: Richtungsweisend fokussiert

Vor diesem Hintergrund waren und sind die Spielzeitplanungen sicher nicht einfacher geworden. Was sind in der Arbeit eines Theaterintendanten derzeit die größten neuen Herausforderungen?

Es gibt auch in der Kultur zukünftig große Planungsunsicherheiten bzgl. Corona-Pandemieentwicklung: Keiner weiß, wie demnächst hier die Situation – im nunmehr dritten Corona-Winter – sein wird. Das Umdisponieren en masse – wie bei uns Chursachsen von bislang ca. 600 Veranstaltungen erprobt - war und ist für uns als verantwortlicher Veranstalter eine organisatorische, kommunikative, mentale und wirtschaftlich große Herausforderung. Zudem verzeichnen wir eine signifikante Kostenentwicklung und Inflation – derzeit in Deutschland bei ca. 8%, in unserem wichtigsten Partnerland Tschechien von ca. 17%! Keiner weiß, was z. B. Kultur-Produktionen im kommenden Jahr wirklich kosten. Dazu gibt es heute ein deutlich anderes Besucher- und Politikverhalten, dem entsprechend begegnet werden muss. Dazu läuft der alltägliche »normale Wahnsinn« unserer Branche weiter – das ist aber gerade fast beruhigend.

Viele Menschen sind bekanntlich aufgrund der Weltlage besorgt und verunsichert. Was kann Kultur als Angebot hier leisten bzw. kann Musik und Theater den Menschen Halt geben?

Zuerst: Ich verstehe diese Menschen! Zum einem leben wir hier zum Glück in einer Welt seriöser Medien, zum anderen in einer Welt der oft z. T. bewusst gesteuerten Fake News. Wie soll man da in wahr oder falsch unterscheiden, Spreu vom Weizen trennen? Ein jeder bedarf eines klugen »geistigen Kompasses«, um sich in dem gewachsenen Informationsdschungel aller Art zurechtzufinden. Dazu gehören neben der lebenslangen Bildung eben genauso Kulturerlebnisse, natürlich insbesondere mit der zu Herzen gehenden »Sprache der Musik«, um durch Begeisterung in der Welt des Phantastischen persönliche Räume für emotionalen Halt und Zuversicht zu öffnen.

Apropos »Herz der Musik«: Im November feiert die Chursächsische Philharmonie ihren 30. Geburtstag. Wenn Sie zurückblicken, was vermissen Sie von den Anfangstagen und worüber sind Sie in der Entwicklung am meisten dankbar?

Ehrlich gesagt – die Anfangszeit 1992/93 war bedingt durch schwierige äußere Rahmenbedingungen wie unsanierte Konzertsäle, wenig Publikum und unklare Finanzierung nicht besonders schön. Es wurde uns damals nichts geschenkt. Aber: Wir waren damals alle – auch in ganz Bad Elster – getragen von einem großartigen Enthusiasmus für einen auf den Traditionen basierenden, chancenreichen Neuanfang. Das war ein tolles Gefühl! Davon getragen haben wir uns alles im Team und mit einem engagierten Unterstützerkreis systematisch mit großem Fleiß und manch’ »blauem Auge« erarbeitet. Der lohnende Weg war und ist hier das Ziel. Im Namen der Chursächsischen Philharmonie danke ich daher von Herzen allen – und ganz besonders unserem Publikum – für diese langjährige Treue und Begleitung!

  • Immer ein offenes Ohr:
    Der Dirigent im König Albert Theater

Ein großes Thema im Bereich Kultur sind derzeit vor allem der eher mystisch wirkende Publikumsschwund, gerade im Bereich Theater und Orchester. Betrifft das auch Bad Elster und wie gehen Sie damit um?

Dieses Phänomen ist keine Mystik, sondern logische Konsequenz der sich entwickelten Konsumenten-Situation: So wie z. B. »Fridays for future« die Menschen verändert, die Energiewirtschaft mit dem Abschalten von Atomkraftwerken zurechtkommen muss, die Tageszeitung mit der digitalen Welt im Wettstreit liegt und die Automobilbranche einer Zukunft ohne Verbrennungsmotor gegenübersteht. Die Vergangenheit kommt nicht wieder, die gesamte Kultur- bzw. Veranstaltungsbranche ändert sich, nicht nur die Theater und Orchester. Jammern und »Schuldige« auszurufen bringt nichts, sondern nur der Blick nach vorne, das Fokussieren und Entwickeln marktrelevanter Kompetenzen sowie deren Umsetzung. Dem müssen wir uns alle stellen und unser Publikum durch gute Produkte begeistern und binden! Unserem Spielbetrieb geht es – wohl auf Basis unseres stimmigen Angebotes im Verbund mit unseren zeitgemäßen Dienstleistungen – zum Glück aktuell deutlich weniger schlecht, aber die neue Realität ist natürlich auch bei uns angekommen.

Gemeinsam mit der Sächsischen Staatsbäder GmbH (SSB) feiern Sie 2023 »175 Jahre Königlich-Sächsisches Staatsbad«. Was sind aus Ihrer Sicht die kulturellen Höhepunkte dieses Jubiläumsjahres?

Dieses Jubiläum ist ein schöner Grund der vor allem gemeinsamen Freude! Seit dem Amtsantritt von Herrn Jens Böhmer als SSB-Geschäftsführer denken und handeln wir als stimmige Einheit, auch zum nachhaltig-wertschöpfenden Wohle der Region. Unser Ziel ist es, unseren »gemeinsamen Diamanten« – die »Königlichen Anlagen Bad Elster« - mit tollen Veranstaltungen und vielem mehr immer wieder zum Leuchten zu bringen. Es gibt natürlich das ganze Jubiläumsjahr viele besondere Veranstaltungen, aber Höhepunkt wird in dieser Spielzeit sicher das unter der Schirmherrschaft unseres Ministerpräsidenten Michael Kretschmer stehende, spektakuläre Klassik-Open-Air-Festkonzert am 23. Juni 2023 mit dem EUCHESTRA EGRENSIS im NaturTheater Bad Elster sein. Vorausschauend dürfen sich alle auch schon auf die
23. Chursächsischen Festspiele im Herbst 2023 freuen, welche sich mit einem besonderen Veranstaltungsprogramm speziell diesem Jubiläum widmen.

Gestatten Sie uns zum Schluss noch eine persönliche, künstlerische Frage: Wenn Sie allein ein Konzert für den Frieden der Welt programmatisch gestalten dürften, welche Werke müssten dann gespielt werden, um den inneren und äußeren Frieden fühlbar werden zu lassen?

Eine Antwort fällt nicht leicht, da es recht viele Musiken aus vielen Jahrhunderten gibt, welche diesem hohen Ziel künstlerisch nahekommen – auch im Bereich der Oper. Leider werden diese Musiken aber nicht sofort vom breiten Publikum so verstanden. Natürlich wirkt Beethovens 9. immer, aber ich würde Bruckners 9. Symphonie mit dessen »Te Deum« wählen: Das ist wirklich fantastische Musik mit göttlicher Inspiration - von Menschen für Menschen - zwischen Himmel und Erde, in Frieden.

Herr GMD Merz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.